Können LOHAS mit „bio“ Schaden anrichten?

Die Zeit rennt rasant. Bei nachhaltigBeobachtet diskutiert man über utopia.de. In Istanbul ist Weltwasserforum. Die Industrie hat Überkapazitäten und lässt kurzarbeiten. Gen-Mais wird demnächst wieder ausgesäht. In Frankreich fand ein Generalstreik statt. Die innersten Zivilschützer beraten, wie man die europäische Bevölkerung (wahrscheinlich die Deutschen ausgenommen) im Falle Krise beruhigt. Die nächste Finanzblase wird gerade mit Steuergeld angefüllt. In der Türkei sterben tausende Arbeiter an einer Lungenkrankheit (Video), weil die armen Hunde mit Quarzsand Jeans für uns gealtert haben. LOHAS werden kritisch beäugt. Kurz um…die Nachrichtenlage ist völlig konfus und vielfältig. Über einen Wandel vom Exportweltmeister zum nachhaltig orientierten Binnenmarkt steht in den Leitmedien (mainstrem media) nichts. Und jetzt komme ich mit meiner blöden Frage:

Können LOHAS mit „bio“ Schaden anrichten?

Dazu muss ich kurz ausholen. Anfang der Woche habe ich einen Satz Cuba Libre verschenkt. 1 Flasche Rum, 2 Flaschen Cola und 8 Limetten. Das Geschenk hatten wir 2 Stunden später fast schon wieder in gemütlicher nicht zu kleiner Runde ausgetrunken. Dummerweise habe ich keine Bio-Limetten bekommen. Es gab gerade keine. Also waren es herkömmliche Limetten aus Brasilien, die mit 2 Stoffen, die mir nichts sagen, konserviert/gespritzt waren. 🙁 2 komplizierte chemische Namen aufm Ettiket sind verbraucherunfreundlich!

Kurzer Einschub: Auf dem Nachhaltigkeitsbloggertreffen (ups, ich hab gar nix darüber geschrieben) hat mymüsli erzählt, dass teilweise enorme Schwierigkeiten bestehen Bio-Zutaten zu bekommen. Die Kunden werden mit Gutscheinen „vertröstet“. Vielleicht wären die Kunden bei klarer Nachrichtenlage ja bereit wirklich in Demut zu warten, ohne gleich das kapitalistische „ich-will-jetzt-oder-ich-geh-woanders-hin“-Fass auf zu machen. Einschub Ende.

Da ich aus Brasilien weiss (Medienberichte), dass es dort große Umwälzungen in Form von Bewässerungen, Raubbau, Urwaldzerstörung, Großgrundbesitzertum und Landlosigkeit unter den Kleinabauern vor sich gehen, hatte ich bei den Limetten ein schlechtes Gewissen. Wie wurden die Limetten produziert?

  • Wurden die Mitarbeiter fair bezahlt und geschützt?
  • Wurde bewässert und damit vielleicht der Grundwasserspiegel abgesenkt?
  • Haben Bauern ihr Land für die Limettenplantage (illegal?) verloren?
  • Was bewirken die Konservierungsmittel vor Ort und beim Genuss?
  • Sähe die Lage mit Bio-Limetten (ohne Konservierungsmittel) anders aus?

Die Großunternehmer sind ja nicht blöd und könnten ja Bio-Limetten im großen Stil in Brasilien anbauen. Land lässt sich ja genug „bereitstellen“. Bio sagt ja auch nichts über die Behandlung/Bezahlung von Mitarbeitern aus. Ich gebe zu, das sind naive Vorstellungen und Fragen von mir. Aber das Problem ist Realität. Die Sonnenblumenkerne mit Bio-Siegel aus China im Bioladen sind da. Wurden die Sonnenblumen vielleicht mal bewässert? In China fehlt sauberes Wasser an anderen  Ecken, ganze Städte haben keine funktionierende Wasserversorgung mehr.

Ich versuche mal zur Ausgangsfrage zurückzufinden: Eigentlich müssten mir alle möglichen Siegel garantieren, dass am Herstellungsort und hier alles paletti ist (ökologisch und sozial). Daran glaube ich aber nicht komplett. Manches Logo im regionalen Gebrauch (Demeter-Milch von Bauernhof vor der Stadt) ist da vielleicht besser als ein anderes (EU-Bio auf China-Sonnenblumenkern). Selbst die Kontrollen mögen korrekt aussehen, doch wird immer das 4-Augen-Prinzip auf der gesamten Herstellungskette eingehalten? Gerade das EU-Biosiegel erscheint mir nicht in der Lage ganzheitlich und vollstänig, meine Zweifel

Einschub 2: Ungespritze Zitronen sind in den letzten 2 Jahren bei uns in Dresden um 50-100% teuerer geworden. Einschub Ende.

Und bevor all diese Fragen geklärt werden, hätte ich ja ein alternatives Geschenk machen können. Zum Beispiel 1 oder 2 Flaschen Meißner Wein. Aber dummerweise hätte ich damit beim Beschenkten keine Punkte damit erzielen können.

Und damit komme ich jetzt wirklich zum Schluss: Globaler Handel mit fairem Bio kann funktionieren, beim Kaffee klappt das (weil keine Alternative, ausser: Nichtrinken), aber ansonsten behaupte ich mal, dass in vielen Biolebensmitteln immer noch genug graues Wasser und graue Energie drin stecken, die wir völlig übersehen. Deshalb ist es besser, zu verzichten oder weniger zu verbrauchen. Damit das Leben aber nicht zu traurig wird, kann man ja noch den lokalen Strukturwandel voran bringen. Viele gute Dinge liegen ja oft näher als man denkt. Deshalb ist in meinen Augen eine Verhaltensänderung sinnvoller, als nicht-Bio durch bio zu ersetzen. Den mit Cuba-Libre-Beschenkten müsste ich also zum Weintrinken animieren und vom „Alltags-Cuba-Libre“ (nein, er ist nicht Alkohol-abhängig 😉 ) abbringen.

Ich muss noch einen konkreten Punkt ansprechen: Es gibt ja jetzt Quitten-Bionade. Mir ist die etwas zu süsslich, aber egal. Warum macht Bionade fett Werbung, anstatt das Gute sich im Markt einfach behaupten zu lassen? Mir scheint, „bio“ ist mittlerweile „big business“. Das wurde mir in Nürnberg auch von eingen Leuten bestätigt. Und am Ende nutzen bio- und nicht-bio-Branche die selben beschissenen blöden Werbetafeln (Werkzeuge). Wer ein beleuchtetes Bionade-Werbeplakat fotografiert bekommt von mir einen Keks. :mrgreen:

Einschub 3: Übrigens kaufe ich dehalb keine bio-Gurken aus Spanien oder Italien im Winter, sondern habe bis jetzt auf die ersten Nicht-Bio-Gurken aus dem Gewächshaus vor Ort (Frühgemüse Zentrum Dresden-Kaditz) gewartet. Von denen weiß ich nämlich, dass sie ein neues energiesparendes Gewächshaus gebaut haben. Einzig blöd an den Kaditzer Gurken ist die „enthaltene Heizenergie“ des diesjährigen Winters, der gefühlt 3-4 Wochen zu lange dauert. Einschub Ende.

Irgendwie finde ich es seltsam und erstaunlich welche Kaufentscheidungen man treffen kann/muss. Dabei bestimmt man mit seinem Geldbeutel so viele Einflussfaktoren. Ich ziehe einen auskunftsfähigen Verkäufer im Laden jedenfalls einem nicht-unabhängigen Webportal vor, was ich mangels Online-Mobilität eh nicht im Laden nutzen kann. Vielleicht ist das der Grund, warum ich mit Utopia.de als Verkaufsplattform so wenig anfangen kann. fin

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493 Antworten zu Können LOHAS mit „bio“ Schaden anrichten?

  1. Horst sagt:

    Naja, die Überschrift ist schon gewagt. Schaden tut Bio sicher nicht, aber alleine damit wird man die Welt nicht retten. Bei den „echten“ Ökos (Demeter, …) weiß man zumindest noch, dass die Produzenten und Händler das nicht nur des Gewinns wegen machen sondern in der Regel unterstützenswerte Einstellungen haben.

    Aber sonst ist’s wie beim Ökostrom. Wenn man zum Energieverschwender mit Ökostrom wird, unterstützt man zwar regenerative Quellen, aber weniger „Schaden“ richtet man durch Energiesparen an. Ich hatte dazu mal was satirisches geschrieben: http://www.abgekliert.de/blog/00199-oekostrom-standby-statt-abschalten.html

  2. Stefan sagt:

    Wo bekommt man die Kaditzer Gurken her? Muss man die vor Ort kaufen?

  3. Stephan sagt:

    Tja…schwierige Frage. Ich weiss von 2 Stellen:

    • FGZ Kaditz, Grimmstr. 79 in Kaditz selber. Nähe Riegelplatz
    • Verkaufspunkt FGZ im Kaufhaus Mälzerei am HP Pieschen

    Die verkaufen ihre Gurken auch weiter. Die Frage ist nur: Wohin? Konsum? Abhilfe schafft ein Anruf: 8304910.

  4. Die Frage ist, glaube ich, nicht so sehr, ob man mit „bio“ Schaden anrichten kann. Ich würde mal behaupten: klar geht das. (Mal ein etwas anders geartetes Beispiel: McDonalds, Coca Cola & Co. könnten sicher auch viele Produkte in bio anbieten – der Markt wünscht es ja gerade. Gesünder werden die Produkte dadurch nicht.)

    Besonders seit Bio so einen Boom erlebt hat, gibt es auch in diesem Produktsegment ein „besser“ und ein „weniger gut“ gibt. Die Discounter haben begonnen, Bio-Produkte anzubieten, um diese Kunden nicht zu verlieren. Ob die günstigeren Ökoprodukte genauso „gut“ oder „umweltfreundlich“ sind wie die Produkte anderer Siegel, oder gar vom Bio-Bauern, den man persönlich kennt usw., ist dahin gestellt. Ich glaube, so einen detaillierten Vergleich kann man von einem Siegel auch gar nicht erwarten. Natürlich sind die Einflussfaktoren zu groß, um einen Standard für alle Produkte & Gelegenheiten zu haben, der immer Sinn macht.

    Das Dilemma ist ganz klar: Die Konsumenten können nicht jedes und alles vor dem Kaufakt recherchieren. Produziert xy fair? Lässt A&B auch keine Kinder arbeiten? Ist die Baumwolle von Z auch wirklich nicht mit Pestiziden verseucht? … Ich denke, an dem Punkt ist der Verbraucher bei jeder einzelnen Kaufentscheidung überfordert. Außerdem ist auch die Trennschärfe bei den Siegeln ein Problem: Zumindest theoretisch ist nicht ein Produkt ohne Siegel automatisch unökologisch und un-fair in der Produktion. Es gibt seit Längerem immer wieder Berichte über bestimmte Produkte aus Entwicklungsländern, die sozial- und umweltgerecht hergestellt werden, wo es sich aber die Firmen und Projekte nicht leisten können, oder aus anderen Gründen nicht in Frage kommt, die Sache zu zertifizieren und mit dem Label zu versehen. (taz: Chance für Afrikas – Bauern Bio auch ohne Siegel)

    Und wie Du schon so schön beschreibst: Am Ende ist u.U. auch auf den gesunden Menschenverstand mehr Verlass, als auf die Label & Siegel – die natürlich eine wichtige Rolle spielen, aber nicht alleiniges Kaufkriterium sein sollten. Bio-Gurken aus China oder doch lieber aus der Region, wo man den Produzenten kennt und auch mal persönlich vorbei schaun kann, aber halt ohne Siegel? Da brauch ich nicht keine qualifizierte (also: Siegel) Entscheidungshilfe: Eine Bio-Gurke, die aus China in meinen Salat geflogen wurde, ist die wirklich noch im ökologischen Sinne bio? Das Label mag es bestätigen, mein Verstand unterstützt dann doch lieber die Region. 😉

  5. @ Stephan: Ja, da hat man so einen Geistesblitz und dann wirds doch etwas länger … 😉 Danke für Deine kritischen Anmerkungen, die nun nicht weniger komplex waren!

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