Am 4. Juni 2006 fand in Deutschland der zweite UNESCO-Welterbetag statt. Dieser wird seit 2005 jeweils am ersten Sonntag im Juni begangen und soll Welterbestätten erlebbar zu machen und die Bedeutung des Welterbes für die Region verdeutlichen. Ich nutze die Gelegenheit und machte mich ins Dresdner Lingnerschloss auf, wo ein interessantes Programm geboten wurde.
Ein Schloss für Dresdens Bürger
Das Lingnerschloss wurde vom „Odol-König“ Karl A. Lingner in dessen Testament an die Dresdner Bürger vererbt und beginnt nun langsam aus seinem Dornrößchenschlaf zu erwachen. Es liegt inmitten des Kernbereiches des Dresdner Welterbes. Auf der Webseite des Lingnerschlosses kann man folgende Vision lesen:
Entstehen soll eine Kultureinrichtung von besonderer Ausstrahlung weit über sächsische Landesgrenzen. Die Vision von der offenen Bürgergesellschaft, die auf dem ständigen Dialog zwischen Politik und Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst beruht, soll dabei im Mittelpunkt stehen. Erstmals verwirklicht werden soll das Anliegen Karl-August Lingners, sein Haus den Dresdner Bürgern zu öffnen. Als Ort der Begegnung, der Inspiration und des Austauschs zwischen Menschen unterschiedlicher Passion und Profession soll das Lingnerschloss Dresden Symbol sein für Weltoffenheit und kulturelle Vielfalt, für Gestaltungsfreiheit und gesellschaftliche Transparenz.
Vom Lingnerschloss hat man einen der schönsten Blicke über Dresden hinweg und es bot trotz seines schlechten Zustandes einen würdigen Rahmen für das Programm zum Welterbetag.
Erlebnisse und Erkenntnisse
Zuerst bestaunte ich die Vorführung des recht innovativen Kurzfilmprojektes „Dresden-Rolle„. Danach hielt Dr. M. Lerm einen abwechslungsreichen Bildvortrag mit dem Titel: „Welterbe Dresdner Elbtal – eine sich entwickelnde Kulturlandschaft“. Dieser Vortrag war wirklich informativ und zeigte sehr schöne Perspektiven auf das Welterbegebiet. Herr Lerm vergaß auch nicht auf die vielen Probleme (z.B. des Lebensraumes Stadt, Zwangsmobilität durch Speckgürtel im Grünen) hinzuweisen. Nach diesem Vortrag war definitv klar, dass es genug Punkte gibt, an denen man die Zukunft gestalten kann.
Es folgte die Vorführung des Filmbeitrages zum Dresdner Welterbe (auch als Video dort anschaubar) aus der Reihe „Schätze der Welt„. Kurz und prägnant greift diese Serie den Charakter des jeweilges Erbstückes auf und visualisiert sehr angenehm. Letzlich nahm ich noch an der Diskussionsrunde teil, bei der es um Perspektiven und Bedeutung des Welterbetitels ging.
Man spricht und denkt über die Verantwortung
Die Diskussionsrunde sollte im Stile der öffentlichen Debattiersalons des vorigen Jahrhunderts stattfinden und die Gedanken aus den Köpfen locken. Erfreulicherweise blieben die konkreten Themen (Waldschlößchenbrücke, Hilfloskeitsgefühl im Stadtentwicklungsprozess, Missverständniss bei einigen Neubauten) im Hintergrund, doch wurde auch deutlich, dass es sehr viel Diskussionsbedarf über viele Themen gibt, weit mehr als es die oft engen Zeitrahmen erlauben.
Die vielleicht 100-120 Anwesenden waren sich einig, dass aus der Verantwortung um das Welterbe eine neue Diskussionskultur (wieder)entstehen muss. Eine Kultur, die man im vorigen Jahrhundert in den Salons der Stadt pflegte. Gerade die polarisiernden Beiträge um die Waldschlößchenbrücke machen klar, dass es nicht genug ist, innerhalb der Konfliktparteien zu diskutieren, sondern diese auch zueinander finden müssen. So wurde offen bemängelt, dass die Argumentationsgrundlage der Brückenfürworter oftmals zu wenig visionär ist und unpopuläre Gedanken viel zu wenig diskutiert werden. Auch das Kommunikationsverhalten der Stadt und diverser Lobbyverbände wurde schon beinahe als unwürdig deklariert.
Positive Impulse hat der Welterbestatus für den Tourismus. So gibt es ein erhebliches Potential durch asiatische Touristen, die zum Teil nur Welt(kultur)erbestätten in Europa besuchen. Ohne einen solchen Titel würde Dresden einfach nicht wahrgenommen werden.
Chancen sind vorhanden, man sollte sie nutzen
Schlussendlich kann man sagen, dass es den Bürgern schon ans Herz geht, wie sich das Dresdner Elbtal weiter entwickeln soll. Damit die Entwicklung aber nicht durch Interessenverbände gesteuert wird, soll ein Salon der Öffentlichkeit im Lingnerschloss etabliert werden, welcher einen neutralen Raum für eine neu zu etablierende Diskussionskultur darstellt. Sollte das Dresdner Welterbe diesen Monat auf die Rote Liste gesetzt werden, dann wäre dies der ultimative Weckruf an das Verantortungsgefühl und die Ästhetik der Menschen in der Region. Letztendlich stehen bei einem Welterbe Werte zur Debatte, die man nicht bemessen kann, aber doch einen grossen Einfluss auf das Lebensgefühl haben.
Anmerkung: Diesen Artikel kann man auch in der Readers Edition lesen.