Dieser Artikel fasst ein paar Gedanken zum Thema Komplexität zusammen. Beginnen möchte ich mit einem ganz einfachen Gedankenexperiment. Wir stellen uns ein Objekt vor. Vorausgesetzt Objekte haben auf sich selber keinen Einfluss, gibt es keine weitere Wechselwirkung. Nun kommt ein weiteres Objekt hinzu, wir haben 2 Objekte. Da in diesem Gedankenexperiment jedes Objekte genau eine Wechselwirkung zu jedem anderen Objekt haben soll, gibt es genau eine Wechselwirkungsbeziehung zwischen den 2 Objekten.
Nun kommt ein drittes Objekt hinzu und wir haben sehen folgende Wechselwirkungen:
- Objekt 1 mit Objekt 2
- Objekt 2 mit Objekt 3
- Objekt 1 mit Objekt 3
Wieviel solcher Beziehungen werden wir wohl bei 4 Objekten haben? Die Antwort lautet: 6 Wechselwirkungsbeziehungen. Ein Bild illustriert diesen Sachverhalt recht gut.
Um die Anzahl der Wechselwirkungen von 100 Objekten zu ermitteln, kann man entweder diese Bildreihe fortsetzen, oder aber eine schlaue Formel bemühen. Für 100 Objekte sind es 4950 Wechselwirkungen laut folgender Formel, die für mehr als 1 Objekt gilt.
Das mathematische Modell hinter diesem Gedankenexperiment ist das des vollständigen Graphen. In einem Diagramm sieht man das Verhalten dieser Formel. Es geht exponentiell aufwärts.
Die Zahlen für dieses Diagramm möchte ich auch keinem Vorenthalten. (Warum kann OpenOffice keinen validen xhtml-Code erzeugen?)
Der Bezug zum Alltag
Hier möchte ich das Gedankenexperiment abbrechen und den Schritt in die Realität wagen. Die Frage die sich mit stellt ist die. Wer kann diese wechselseitigen Rückkopplungen denn bitteschön überblicken? Nun könnte man fragen, warum sollte man alle diese Beziehungen überblicken können? Die Antwort ist aber plausibel. Um die Wirkung von Ursachen beurteilen zu können, brauche ich nur alle möglichen Beziehungen zu analysieren. Wichtig dabei ist, dass alle beteiligten Entitäten (Personen, Objekte, …) auch vollständig erfasst sind.
Selbst wenn noch lange nicht alle Entitäten aufeinander wechselwirken, so ist der prinzipielle Zusammenhang doch klar. Es gibt immer mehr Zusammenhänge als Entitäten, von denen die Wechselwirkungen ausgehen.
Ein Beispiel
In der Sahelzone soll ein Brunnen gebaut werden. Die Ursache ist somit klar, es ist der Brunnenbau. Jetzt suchen wir alle beteilgten Akteure heraus.
- Mensch
- Brunnen
- Grundwasserspiegel
- Niederschlag
- Baumart 1
- Baumart 2
- …
- Baumart x
- Strauch 1
- …
- Strauch x
- Gesteinsschichten
- Tierart 1
- …
- Tierart x
- Wind
- Sand
- Pumpenverkäufer
- Energiequelle für Pumpe
- usw.
Jetzt könnte man meinen, was die Tiere damit zu tun haben? Nun die Pflanzenfresser ernähren sich von Pflanzen. Das Prinzip einer Nahrungskette brauch ich hier ja nicht zu erläutern. Nun wo, wir die Beteiligten gefunden haben, finden wir mal Wechselwirkungen.
- Mensch nutzt Brunnen
- Brunnen beeinflusst Grundwasserspiegel
- Pflanzen sind abhängig von Grundwasserspiegel
- Wind trägt Sand
- Pflanzen bremsen bodennahen Wind
- Strauch x wächst im Schatten von Baum y
- usw.
Jetzt haben wir gleich 2 Probleme.
- Haben wir wirklich alle Beteiligten erfasst?
- Ist unser Wissen über die Wechselwirkungen wirklich vollständig?
Die beiden Fragen sind des Pudels Kern. Ich würde es mal so halten: Man weiss, dass man nicht alles weiss. Trotzdem wird man vorhersehen können, dass der Brunnenbau Probleme verursacht. Kurzfristige Wasserentnahme führt zwar zu kurzfristig höheren Erträgen, aber sorgt dafür, dass andere Pflanzen eingehen und der Wind zunehmend mehr Sand in den Bereich des Brunnen tragen kann. Irgendwann ist zuviel Sand herangeweht worden und der Mensch verlässt den Ort, an dem er hunderte Jahre in Harmonie mit der Natur gelebt hat.
Was lernen wir daraus?
Sobald wir irgendetwas tun, bewirken wir etwas damit. Je umfangreicher unser Tun ist, desto mehr Wirkung werden wir auslösen. Gewisse Erfahrungswerte geben uns in unserem Handeln Sicherheit und sorgen für ein gutes Gewissen im Umgang mit der Natur. Wenn jetzt aber die Erfahrungen durch Theorien und abstrakte Begriffe ersetzt werden, dann muss man die Frage stellen, ob das so richtig ist. Der Mensch hat in seiner kulturellen Evolution immer umfangreicher in seine Umgebung eingegriffen, es war ein ständiges Geben und Nehmen. Damit wuchs der Wissenshorizont immer schneller und die Zeitspannen zwischen neuartigen Technologien und Methoden immer verkürzten sich immer mehr. Das Menschsein hat sich beschleunigt.
Die Auswirkungen dieser Beschleunigung sind mittlerweile global. Wenn sich ein wichtiger Zinssatz auf der anderen Erdkugelseite ändert, dann wirkt diese kleine Korrektur unmittelbar auf den Rest der Welt ein. Informationsverarbeitung macht es möglich, gigantische Organisationen zu führen, die wiederum die Bedürfnisse unserer Konsumgesellschaft stillen. Jedoch hat sich unsere Wahrnehmungsfähigkeit nicht in der selben Geschwindigkeit beschleunigt. Wir können zwar auf abstrakteren Ebenen denken, aber die Anzahl der an den Denkprozessen beteiligten Begriffe hat sich vielleicht nur unwesentlich vergrössert. Im schlimmsten Fall haben wir sogar die Dimensionen hinter den Begriffen ausgeblendet, um überhaupt noch die Begriffe handhaben zu können.
Unser emsiges Treiben und Regulieren umfasst ständig mehr Entitäten. Damit das ganze aber geistig beherrschbar bleibt, werden andere Entiäten ausgeblendet oder zusammengefasst. Ein Beispiel wäre der Begriff Umwelt beziehungsweise Natur.
Unvollständige Denkprozesse
Ich behaupte hier einmal, dass durch die enorme Komplexität des Alltags die Denkprozesse weniger vollständig im Bezug auf ihre natürliche Domäne (Umgebung) sind. Denkprozesse finden zwar immer noch auf ihrem Wahrnehs.org/images/pubmungshorizont statt, doch hat sich dieser Wahrnehmungshorizont deutlich verändert. So spielt der Preis z.B. in der Regel eine grössere Rolle als die Herkunft eines Produktes. Man denkt einfach gar nicht daran, welchen Ursprung ein Produkt hat. So überblickt man zwar den Planeten, aber die Details entgehen dem geistigen Auge. Es ist zwar schön, dass Schuhe superbillig aus China kommen, aber wer denkt an den existenzbedrohten Schuster um die Ecke?
Schlussendlich hat die Entfremdung (des Denkens) von der Natur zu einer Überbeanspruchung unserer natürlichen Resourcen geführt. So ist Deutschland im Moment in der Lage sich bis in den Mai hinein selbstständig zu versorgen, den Rest der Zeit müssten wir hungern, wenn wir nicht fremde Resourcen nutzen würden. Damit haben wir das natürliche Maß des Menschen überschritten und werden in Zukunft mit den zeitverzögerten Auswirkungen klarkommen müssen.
Viel Erfolg homo faber!
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