Der Karren steckt tief im afghanischen Dreck

In Riga tagt die Nato. Vielleicht streitet sie sich sogar. Es geht um Afghanistan.

Ich zitiere den Nato-Generalsekretär aus den Tagesthemen von gestern abend:

„Ich hoffe, dass wir bis 2008 entscheidende Fortschritte gemacht haben, so dass die afghanischen Sicherheitskräfte die Kontrolle übernehmen können.“

Der gute Mann und seine Berater scheinen ein Erkenntnisproblem zu haben. Warum? Ich versuche mal meine Sicht der Dinge darzulegen.

Große Änderungen brauchen Zeit, wenn sie tief in einem Volk verankert sein sollen. Man reflektiere doch nur mal das Werden der europäischen Justizkultur. Es ist ja nicht so, dass uns Europäern jemand mit dem Nürnberger Trichter ein Rechts- und „Werte“-system eingeflößt hat. Nein, ich denke da stecken zwei- bis dreitausend Jahre Zeit drin. Man denke nur an die Gedankenwelt der griechischen Philosophen.

Desweiteren kann man Menschen nicht von heute auf morgen „umpolen“. Woher sollen denn bitte die Sicherheits- und Justizkräfte herkommen, die dort einen funktionierenden Rechtsstaat (westlichen Vorbildes) absichern können? Ich übertreibe jetzt mal. Ehemalige Taliban und Mohnbauern können diese Funktion wahrscheinlich nicht übernehmen. Gibt es sonst Leute in Afghanistan, die einen „freien Geist“ haben? Ein sehr kurzes Nachschlagen (ich hab nur schnell durch Wikipedia geklickt) ergibt folgendes:

  • Rund 40 % der Afghanen sind Paschtunen, die wiederum überwiegend stark islamisch geprägt sind.
  • Circa weitere 30 % sind Tadschiken, die sich mit dem Islam identifizieren.
  • Dann gibt es noch rund 20 % Hazara, die wiederum eine Spielart des Islams im Geiste tragen.

Das sind mindestens 90 Prozent der Gesamtbevölkerung. Selbst wenn von denen nur 75 Prozent an ihre Religion glauben, ist immer noch mindestens jeder zweite Afghane religös. Das ist erstmal nichts negatives. Man muss aber beachten, dass es im nahen und mittleren Osten nur ganz wenige Länder gibt, wo es eine funktionierende Trennung von Staat und Religion gibt. Ganz im Gegenteil, dort wird gerne die Religion im Interesse des Staates vor den Karren gespannt und anders herum. Und nun will man den Schalter in den Köpfen einfach umlegen?

Das kann nicht gut gehen. Der Islam steckt dort in den Leuten drin. Es ist deren Kultur, es ist deren Leben. Ich will jetzt auch nicht über den „humanistischen“ Wert des Islams werten, sondern einfach klar machen, das es dort eine andere Welt ist. So ganz anders, als wir es gewohnt sind. Und was machen wir? Wir werfen uns die heiße Kartoffel Afghanistan gegenseitig auf einem militärischen Gipfel zu. Das ist lächerlich. Wo bleibt der internationale Entwicklungsgipfel? Wo ist die Einbeziehung unserer hervorragenden Islamistik-Wissenschaftler?

Ein wenig stolz bin ich ja, dass „unser Land“ dort auch Entwicklungshilfe leistet. Egal wie bescheiden das Ergebnis sein mag. Es geht zumindest nicht nur darum, die alten Köpfe zu „beseitigen“. Die Haltung mancher Nato-Verbündeten ist echt nicht zu verstehen. Sie ist so kurzsichtig, ja so frei von Einfühlungsvermögen, so frei von Geschichtsverständnis. Furchtbar. Wissen „wir“ eigentlich wer wir sind?

Mehr von mir dazu im Kontext:

Dieser Beitrag wurde unter Umgebungsgedanken, Verantwortung veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.